Informationsvorlage - 2015/IV/0991

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Beratungsfolge

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Sachverhalt:

 

Das Amt für Jugend und Soziales gab Ende 2014 im Rahmen der Jugendhilfeplanung eine Studie in Auftrag, welche sich mit der Bedarfsermittlung bezüglich der Betreuungssituation unter Rostocker Eltern auseinandersetzten sollte. Die so gewonnenen Informationen bilden nunmehr die Grundlage für eine datenbasierte Bedarfsfeststellung und für eine darauf aufbauende Weiterentwicklung der familienunterstützenden Kindertagesbetreuung in der Hansestadt Rostock.

 

Gegenstand der Erhebung waren, neben personenbezogenen Daten, vor allem berufs- und familienbedingte Bedürfnisse in Bezug auf den Betreuungsumfang in Kindertages-einrichtungen und dies im Speziellen bei Eltern mit atypischen und variablen Arbeitszeiten. Befragt wurden Eltern, deren Kinder zum Zeitpunkt der Befragung eine Kindertages-einrichtung besuchten.

 

Mit der Studie wird deutlich hervorgehoben, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, im Spannungsfeld zwischen politisch-wirtschaftlichen Ansprüchen und der Sicherung der Bedürfnisse des Kindes sowie der Kindheit als stabile und nachhaltig wirkende Beziehungs- und Bindungsphase von Kindern mit ihren Eltern und verlässlichen Bezugspersonen, vor immer wieder neuen Herausforderungen gestellt wird. Schon heute verbringen Kinder einen Großteil ihres Alltags in institutionellen Erziehungs-, Betreuungs- und Bildungsarrangements. Der institutionalisierten Kita-Betreuung kommt in diesem Prozess die wichtige Aufgabe zu, diese Entwicklung maßgeblich voranzutreiben und qualitativ zu unterstützen.

 

Die vorliegende repräsentative Studie der Universität Rostock legt den Schwerpunkt auf die Weiterentwicklung familienunterstützender und bedarfsangemessener Betreuungs- und Öffnungszeiten, die die Eltern bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen sollen.

(Link: www.rathaus.rostock.de/ Ämter und Leistungen/ Amt für Jugend und Soziales/ am Ende der Seite)

 

 

 

 

Im Folgenden werden einige Schwerpunkte und zentrale Ergebnisse der Studie skizziert, bevor anschließend ein Ausblick über mögliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten in den Angeboten der Kindertagesbetreuung und abschließend ein kurzes Fazit bezüglich der Ausgangsfragestellung der Studie gegeben wird.

 

Zentrale Ergebnisse

 

  • die Umsetzung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht nur Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung und Verantwortung, welcher sich alle Beteiligten gemeinsam annehmen müssen
  • Kindertagesbetreuung verfolgt einen eigenständigen Erziehungs-, Betreuungs- und Bildungsauftrag und soll in dieser Funktion familienunterstützend, jedoch nicht ersetzend wirken
  • Kinder benötigen konstante Bindungs- und Betreuungspersonen, um ein angemessenes und förderliches Explorations- und Bindungsverhalten entwickeln zu können
  • flexible zeitliche Rahmenbedingungen für Kinderbetreuung in Kindertages-einrichtungen, wie z.B. Öffnungszeiten bis 20:00 Uhr, sind bereits vorhanden, jedoch im Hinblick auf die Qualität der Sorgebeziehung zwischen Kind und Eltern durchaus auch skeptisch zu betrachten, da oftmals bedeutsame Rituale zwischen Kind und Eltern, wie z.B. das gemeinsame Abendbrot und das Zu-Bett-Gehen, gestört werden oder sogar fehlen, was die sozial- emotionale Entwicklung des Kindes langfristig gefährden kann bzw. wenig förderlich sein dürfte
  • 40% aller Befragten wünschen sich veränderte Öffnungszeiten der Kindertageseinrichtungen, davon 96% berufsbedingt; gleichzeitig führt die Studie jedoch auch an, dass derzeit vorhandene verlängerte Öffnungszeiten von den Eltern nicht genutzt werden
  • 14% aller Befragten sehen eine Betreuung der Kinder am Wochenende als notwendig an und 7% an Feiertagen
  • nur 3,5% aller Befragten wünschen sich eine Nachtbetreuung ihrer Kinder, wovon 3,3% erwerbstätig sind
  • 72% derjenigen, die sich eine Nachtbetreuung für ihre Kinder wünschen binden derzeit weitere Bezugspersonen, vorrangig die Großeltern, zur Betreuung ihrer Kinder ein
  • bezüglich der Überlegungen zu einer 24-Stunden-Kita für Null- bis Sechsjährige gilt es zu bedenken, dass, umso jünger die Kinder sind, unter entwicklungspsychologischen und bindungstheoretischen Gesichtspunkten, diese Betreuungsform aus fachlicher Sicht abzulehnen ist, und sich so der Bedarf noch einmal deutlich reduziert, da ca. die Hälfte der befragten Eltern diesen auch für die Betreuung von unter Dreijährigen anzeigen
  • aus bindungstheoretischer Sicht ließe sich ein Kontinuitätsanspruch als positiv wirkender Einflussfaktor aufgrund von schichtbedingten Personalwechseln darüber hinaus nur schwer realisieren
  • unter fiskalischen Gesichtspunkten reduziert sich die Bezugsgruppe noch einmal, da 68,8% der Eltern zwar bereit sind, sich an den Kosten zu beteiligen, jedoch nur mit durchschnittlich maximal 100,00 € im Monat, was die anfallenden Kosten nicht deckt
  • darüber hinaus lässt die Streuung in der monatlichen Nutzungsanzeige von den befragten Eltern für einzelne Tage eine stabile Betreuungszeit und Gruppengröße nicht zu
  • bedarfsbekundende Eltern für die unterschiedlichen Formen veränderter Kita-Betreuung sind in ganz Rostock verteilt, wobei sich durch die Studie nur geringe Tendenzen auf bestimmte Sozialräume verorten lassen

 

 

Als Ausblick für die Weiterentwicklung der Kindertagesbetreuung in der Hansestadt Rostock werden im Folgenden einige Modelle skizziert, welche sich jedoch immer erst im individuellen Bedarf des Kindes auch als solche darstellen.

 

Die bundesweit vorherrschenden, zeitlich oft starren und zum Teil unflexiblen Betreuungsangebote müssen sich weiterhin wandeln, um den veränderten gesellschaftlichen Strukturen adäquate Unterstützungsformen zur Verfügung stellen zu können. Dieser Handlungsbedarf besteht auch in der Hansestadt Rostock, wie die vorliegende Elternbefragung deutlich macht.

 

Bei allem Veränderungsbedarf müssen jedoch zwingend Bedenken bezüglich der möglichen Beeinträchtigung der Eltern-Kind-Beziehung sowie Aspekte des Kindeswohls immer Priorität besitzen und alle weiteren Überlegungen diesen Themen untergeordnet bleiben. Diese Aussage der Studie deckt sich fachlich mit den Aussagen der Planungsgruppe Kita zum Thema 24-Stunden-Kita.

 

Des Weiteren bedarf es einer Entwicklung von qualitativen Standards für die flexiblen Betreuungsmodelle, welche sich an den Bedarfen der Kinder und Eltern, landesgesetzlichen Regelungen, regionalen Rahmenbedingungen, sowie der Bereitschaft von Einrichtungen und Pädagoginnen und Pädagogen orientiert. Diese zu entwickelnden Standards und Konzepte dürfen sich nicht vorrangig an den Erwartungen und Flexibilisierungsansprüchen des Arbeitsmarktes orientieren, sondern müssen vor allem eine hohe pädagogische Qualität für sich beanspruchen.

 

Grundsätzlich lassen sich alle folgenden Modelle in zwei Entwicklungsrichtungen einordnen. Einerseits gibt es Modelle, die eine Flexibilisierung innerhalb der Kindertageseinrichtungen anstreben. Dem gegenüber stehen Modelle, die eine Flexibilisierung außerhalb der Kindertageseinrichtungen umsetzen wollen.

 

Darstellung einiger exemplarischer Modelle flexibler Betreuungsangebote

 

  • Kindertageseinrichtung mit Früh-, Spät- und Wochenendbetreuung
    • Studien zeigen Auslastung nur in der Nähe von Betrieben, woraus sich auch eine Verantwortung der Wirtschaft für solche Angebote ableiten lässt
  • Kindertageseinrichtung mit Platzsharing
    • zeitversetzte Aufteilung eines Platzes auf zwei Kinder unter Einhaltung des Betreuungsschlüssels; bedarf eines hohen Maßes an Kooperation zwischen Eltern und Pädagogen; ist organisatorischer, finanzieller und zeitlicher Mehraufwand
  • flexible Buchung von Betreuungs- und Bildungsangeboten
    • Module buchbar, minimal- und Maximalbuchungszeiten für bessere Bildung und Beziehung der Kinder, sowie zur effizienteren Planung notwendig: Angebote der offenen Gruppenarbeit prädestiniert, aus bindungstheoretischer Sicht jedoch bedenklich; könnte jedoch für die Autonomiebildung der Kinder förderlich wirken
  • Kindertageseinrichtung in Kombination mit Tagespflegeeinrichtungen
    • während der Schließzeiten der Kindertageseinrichtung kann die Betreuung durch die Tagespflege in der Kindertageseinrichtung oder in der Häuslichkeit der Tagespflege oder der Eltern stattfinden
  • flexible Kindertagespflege
    • kann selbständig auf individuelle Bedarfe reagieren und flexible Betreuungsangebote ggf. über Nacht umsetzen;  Unterbereitung zusätzlicher finanzieller Unterstützung könnte möglicherweise die Bereitschaft zur Entwicklung solcher Angebote erhöhen
  • Notfallbetreuung in Angliederung an bestehende Systeme
    • hat pflegenden, versorgenden, unterstützenden und assistierenden Charakter und begleitet Familien in verschiedenen Lebenslagen

 

 

 

 

  • Familienzentren
    • Begegnungs-, Bildungs- und Erfahrungsorte für Menschen jeden Alters, sozialräumlicher Knotenpunkt für niedrigschwellige Dienst- und Unter-stützungsangebote für Kinder und Familien, Mehrgenerationenhäuser kommen dieser Aufgabe nach, Kooperationen mit den Stadtteilbe-gegnungszentren und den Trägern der Familienbildung
  • Patenschaften
    • Netzwerk ehrenamtlicher Kinder- und Familienpaten, Unterstützung von Familien; Betreuung der Kinder in ihrer gewohnten Umgebung
  • Betriebe als Akteure der Kinderbetreuung
    • Unternehmen müssen ihrer Verantwortung nachkommen, da sie auch für die Betreuungsbedarfe mitverantwortlich sind; Betriebskindertageseinrichtungen, Eltern-Kind-Büro oder Telearbeit als mögliche Formen; bisher wenig Bereitschaft von Seiten des Arbeitsmarktes; Politik und Arbeitgeber müssen sich dem Thema perspektivisch stellen

 

Anhand der Studie der Universität Rostock wird deutlich, dass es erwerbstätige Eltern gibt, die nicht auf die Betreuung durch Bezugspersonen zurückgreifen können. Hier gilt es, zukünftig den Bedarf wahrzunehmen und mit Blick auf kindeswohlgefährdende Aspekte,  aber auch unter sozialräumlichen Gesichtspunkten (Familienzentren, Patenschaften), diesem zu begegnen.

 

Im Rahmen der Themen Migration und Inklusion bedarf es zukünftig nicht nur einer Veränderung von einzelnen Einrichtungen, sondern der strukturellen und inhaltlichen Veränderung aller Angebote und der stärkeren Vernetzung der einzelnen Akteure im Sozialraum, auch und vor allem außerhalb von Jugendhilfe, um Bindungsabbrüchen, Verinselungen und sozialen Vereinsamungen vorzubeugen.

 

Des Weiteren muss die Initiierung zentraler Steuerungselemente, wie dem Rostocker Kita-Planer, weiterhin verfolgt werden, um die tatsächlichen Bedarfe abfragen und die Betreuungsangebote zeitnah dahingehend anpassen zu können.

 

Der Bedarf einer 24-Stunden-Kita konnte anhand der Studie für die Hansestadt Rostock nicht nachgewiesen werden. Jedoch wird eingeschätzt, dass es einen hohen bedarf an unterstützenden und flexiblen Betreuungsangeboten, vor allem für erwerbstätige und alleinerziehende Elternteile gibt, die es mit den Trägern der Kindertagesstätten zu entwickeln gilt.

 

Als Fazit lässt sich aus Sicht des Fachamtes konstatieren, dass sich die Betreuungsangebote in der Hansestadt Rostock in den nächsten Jahren stetig verändern müssen, um den sich wandelnden Bedarfen der Familien (Kindern und Eltern), aber auch den gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Bedarfen weiterhin adäquate und finanzierbare Modelle für die Kinderbetreuung anbieten zu können.

 

 

Ausblick:

 

Im Umgang mit den Ergebnissen der Studie schlägt die Verwaltung weiteres Vorgehen vor:

 

-          Vorstellung der Ergebnisse der Elternbefragung für die Fachöffentlichkeit, III. Quartal 2015

-          in diesem Zusammenhang, Öffentlichkeitsarbeit als Rückmeldung an Befragte und interessierte Eltern, III. Quartal 2015

-          vertiefende Diskussion der Ergebnisse der Elternbefragung in der Planungsgruppe Kita und Erarbeitung von Vorschlägen hinsichtlich von Veränderungen, ab IV. Quartal 2015

 

-          Perspektivisch Entwicklung von flexibleren Betreuungsangeboten mit Trägern und mit Unterstützung der Universität für die Hansestadt Rostock, I. Quartal 2016 ff.

 

 

 

 

 

Steffen Bockhahn
Senator für Jugend und Soziales,
Gesundheit, Schule und Sport

 

 

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Anlagen

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Beschlüsse

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30.06.2015 - Jugendhilfeausschuss - zur Kenntnis gegeben