Beschlussvorlage - 2023/BV/4352

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Beratungsfolge

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Beschlussvorschlag:

Das Bürgerbegehren (Anlage) zur sofortigen Einrichtung einer dauerhaften wöchentlichen "Bürger-Frage-Runde" durch die Rostocker Bürgerschaft ist unzulässig.

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Beschlussvorschriften:   § 20 Absatz 5 Satz 3 Kommunalverfassung M-V

 

bereits gefasste Beschlüsse:  keine

 

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Sachverhalt:

Am 12. September 2022 wurde der Bürgerschaft der Hanse- und Universitätsstadt Rostock das Bürgerbegehren mit der Fragestellung: „SIND SIE FÜR DEN BESCHLUSS, dass die Rostocker Bürgerschaft1 sofort und dauerhaft eine wöchentliche2 Bürger-Frage-Runde einrichtet, an der alle Menschen teilnehmen und den politisch/behördlich Verantwortlichen ihre Fragen zur aktuellen Kommunalpolitik stellen und sich äußern dürfen (beginnend mit der vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Umsetzung der bundes- und landespolitisch angeordneten Corona-Gesetze/-Verordnungen in Rostock sowie allen politischen Themen die uns Menschen in Rostock bewegen und deren Folgen für Menschen und Wirtschaft)?“ (im Folgenden "Bürger-Frage-Runde")

1 in gleichberechtigter Zusammenarbeit mit dieser Initiative und aktiver Mithilfe des Oberbürgermeisters,

2 die ersten 3 Monate wöchentlich, danach 14-tägig, später gegebenenfalls monatlich

  übergeben.

Gemäß § 20 Absatz 1 Kommunalverfassung M-V (KV M-V) können wichtige Entscheidungen in Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises statt durch Beschluss der Gemeindevertretung durch die Bürgerinnen und Bürger selbst getroffen werden (Bürgerentscheid).
 


Die Bürgerinnen und Bürger können die Durchführung eines Bürgerentscheides beantragen (Bürgerbegehren), wenn innerhalb der letzten zwei Jahre nicht bereits ein Bürgerentscheid zur gleichen Angelegenheit durchgeführt worden ist.
(§ 20 Abs. 4 KV M-V) Das Bürgerbegehren muss schriftlich an die Gemeindevertretung gerichtet werden und die zu entscheidende Frage eine Begründung und einen durchführbaren Vorschlag zur Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme enthalten
(§ 20 Abs. 5 KV M-V).


Unterschriften (§ 20 Abs. 5 KV M-V)

Damit das Bürgerbegehren zulässig ist, muss es von mindestens 10 Prozent der Bürgerinnen und Bürger oder von mindestens 4.000 der Bürgerinnen und Bürger unterzeichnet sein. (§ 20 Abs. 5 KV M-V) Formal liegen nach Prüfung der eingereichten Unterschriften mehr als 4.000 gültige Unterschriften vor.

 

Eigener Wirkungskreis (§ 20 Abs. 1 KV M-V)

Es muss sich um eine Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises handeln. "Eigener Wirkungskreis" sind - abgeleitet aus der Verfassung - Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, so der Wortlaut des § 2 Abs. 1 KV M-V (Skeries/Ulrich/Schütte, in: PdK KV MV, § 2 Rn. 4: "Die in § 2 angesprochenen Aufgaben des eigenen Wirkungskreises sind demgegenüber deckungsgleich mit dem Bereich der Selbstverwaltungsangelegenheiten. Zu diesen gehören, wie Absatz 1 dies in Übereinstimmung mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 72 Abs. 1 Landesverfassung M-V formuliert, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft.")

Die Einrichtung einer Bürger-Frage-Runde wäre nur dann hiervon erfasst, soweit es sich um eine solche kommunale Angelegenheit der Hanse- und Universitätsstadt Rostock handelt. Nicht dazu gehört die innere Organisation bzw. die Arbeitsweise der Bürgerschaft. Im Rahmen der gesetzlich abschließend geregelten Aufgaben organisiert sich die Gemeindevertretung selbst.

Das ist nach der einen Auffassung ohnehin so, weil nur Sachaufgaben einschließlich Finanzierungsaufgaben erfasst sind; nach der anderen Auffassung sind (nur) in gewissem Umfang auch Organisationsaufgaben erfasst. Skeries/Ulrich/Schütte(a.a.O., Rn. 4.1.1.): Ob es sich bei den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft um „öffentliche Aufgaben“,
d. h. Aufgaben mit Außenwirkung handeln muss, wurde in der Rechtsprechung verschiedentlich beurteilt. Sofern dieses Merkmal bejaht würde, wären Organisationsaufgaben nicht mit umfasst. Das BVerfG hat anerkannt, dass in bestimmten Grenzen auch Organisationsaufgaben im gemeindeinternen Bereich der Begrifflichkeit unterfallen. So führt das BVerfG aus, dass das Recht zur Organisation der Gemeindeverwaltung nicht nur bezüglich bestimmter Sachaufgaben, sondern für die gesamte Verwaltung gilt. Die Garantie der Eigenverantwortlichkeit schütze die Gemeinden auch in einem der Aufgabenerfüllung vorgelagerten gemeindeinternen Bereich. (BVerfGE 107, 1– 27; mit Verweis auf BVerfGE 83, 363) Demnach muss der Begriff der „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ dem Sinn und Zweck nach so weit ausgelegt werden, dass Organisationsaufgaben in einem bestimmten Maße mit erfasst sind.

Dem entgegen steht das Doppik-Urteil des LVerfG (Urt. vom 26.11.2009 – LVerfG 9/08 –), auf welches in der Literatur verwiesen wird (vgl. Glaser in Darsow, Schweriner Kommentierung, § 2 Rz. 2). Das Doppik-Urt. führt aus, dass ungeachtet dessen, dass der Wortlaut des Art. 72 Abs. 3 LV ohne Einschränkung auf öffentliche Aufgaben abstellt, [...] sich aus Sinn und Zweck sowie der Systematik und Entstehungsgeschichte der Vorschrift [ergibt], dass sie allein Sachaufgaben – einschließlich reiner Finanzierungsaufgaben – erfasst, nicht jedoch Organisations- bzw. Existenzaufgaben (m. w. Verweisen auf LVerfG M-V, Urt. vom 26.1.2006 – LVerfG 15/04 –, LVerfGE 17, 289, 294).

Selbst aber in gewissem Sinne auch Organisationsaufgaben zulassend, wäre vorliegend das Begehren nicht erfasst. Denn die Arbeitsweise der Bürgerschaft ist keine Organisationsaufgabe. Hier gibt die Kommunalverfassung den rechtlichen Rahmen vor, dieses ist nicht "öffentliche Aufgabe" und damit örtliche Angelegenheit bzw. Aufgabe des eigenen Wirkungskreises. Alles weitere, konkretisierende an Regelungen ist reines Binnenrecht der Bürgerschaft, keine "öffentliche Aufgabe" und damit dem Regelungsgehalt des § 20 Abs. 1 KV M-V entzogen bzw. hiervon nicht erfasst.

Unabhängig hiervon sind Teile der in der Fragestellung aufgeführten Themen, wie die Befassung mit der „vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Umsetzung der bundes- und landespolitisch angeordneten Corona-Gesetzen/-Verordnungen in Rostock“, im Rahmen der Bürger-Frage-Runde, nicht vom eigenen Wirkungskreis erfasst. Bei der Umsetzung dieser Gesetze handelt es sich um Aufgaben die im übertragenen Wirkungskreis durch den Oberbürgermeister bzw. die Oberbürgermeisterin durchgeführt werden. Eine Einflussnahme hierauf durch die Bürgerschaft ist nicht möglich und somit kann hier auch keine direkte Entscheidung durch die Bürgerinnen und Bürger erfolgen.

 

Vertreterinnen/Vertreter (§ 14 Abs. 2 KV-DVO)

Gemäß § 14 Abs. 2 KV-DVO müssen bis zu drei vertretungsberechtigte Personen benannt werden. Dies liegt vor.

 

Negativkatalog (§ 20 Abs. 2 KV M-V)

Das Bürgerbegehren ist nur zulässig, wenn ein Bürgerentscheid nicht vom Negativkatalog des § 20 Abs. 2 KV M-V erfasst ist. Die Einschlägigkeit einer der dort aufgeführten Tatbestände ist nicht ersichtlich.

 

Wichtige Entscheidung einer Angelegenheit (§ 20 Abs. 1 KV M-V)

Es muss sich ferner um eine wichtige Entscheidung in einer Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises handeln. Dabei muss die gemeindliche Entscheidung wichtig sein, nicht die Angelegenheit selbst.

Dies dürfte vorliegend nicht der Fall sein. Die zu treffende Entscheidung ersetzt einen Beschluss der Gemeindevertretung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 KV M-V). Insoweit ist festzuhalten, dass diese Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger nicht über die Entscheidungskompetenz der Gemeindevertretung hinausgehen kann. (Schweriner Kommentierung, 4. Auflage § 20 KV M-V Rdnr. 2)

Unabhängig von den grundsätzlichen Bedenken ist die geforderte Teilnahme der „politisch Verantwortlichen“ problematisch. Es wird davon ausgegangen, dass hier die Mitglieder der Rostocker Bürgerschaft gemeint sind. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob diese ehrenamtlich tätigen und ein freies Mandat ausübenden Mitglieder durch solch einen Beschluss zu einer Teilnahme an einer Bürger-Frage-Runde verpflichtet werden können.

Die Bürgerschaft ist die Vertretung der Bürgerinnen und Bürger und das oberste Willensbildungs- und Beschlussorgan der Gemeinde (§ 22 Abs. 1 Satz 1 und 3 KV M-V). Sie ist für alle wichtigen Angelegenheit der Gemeinde zuständig und überwacht die Durchführung ihrer Entscheidungen (§ 22 Abs. 2 KV M-V). Sie kann nur als Kollegialorgan handeln. Eine aktive Mitarbeit bzw. verpflichtende Mitwirkung bei der Umsetzung von Beschlüssen ist hingegen weder für das Kollektivorgan noch die einzelnen Mitglieder vorgesehen. Mitglieder üben ihr Mandat im Rahmen der Gesetze nach ihrer freien, dem Gemeinwohl verpflichtenden Überzeugung aus.

Sie sind an Aufträge und Verpflichtungen, durch welche die Freiheit ihrer Entschließungen beschränkt wird, nicht gebunden. (§ 23 Abs. 3 Satz 1, 2 KV M-V) Eine Teilnahmepflicht an Sitzungen besteht nur hinsichtlich Gemeindevertretung, Ausschüssen und Gremien. Die Ausführung der Beschlüsse (hier des ersetzenden Bürgerentscheides) obliegt gemäß § 38 Absatz 3 KV M-V der Oberbürgermeisterin bzw. dem Oberbürgermeister.

Demnach könnte ein wichtiger Punkt des Beschlusses (die Anwesenheit der politisch Verantwortlichen) nach hiesiger Rechtsauffassung nicht beschlossen und umgesetzt werden. Da die zu entscheidende Frage des Bürgerbegehrens somit über die Kompetenz der Bürgerschaft hinausgeht, kann der im Bürgerbegehren beantragte Beschluss nicht vollumfänglich umgesetzt werden und ist daher unzulässig (VG Schwerin, Urteil vom 27.08.2020, 1 A 721/19 SN, Rdnr. 18).

Selbst wenn man unterstellen müsste, dass die Einrichtung einer solchen Bürger-Frage-Runde eine Angelegenheit darstellte, deren Errichtung nicht der höherrangigen Strukturvorgabe der Kommunalverfassung zuwiderliefe, müsste diese Angelegenheit zusätzlich eine wichtige Entscheidung darstellen. Was wichtig ist, ergibt sich aus § 22 Abs. 2 Satz 2 KV M-V. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass Entscheidungen im Einzelfall selbstverständlich wichtig sein können, die Auswirkungen für die Gemeinde es aber nicht sind. Die Einrichtung der Bürger-Frage-Runde ist insoweit keine wichtige Angelegenheit, da lediglich eine reine Frage-/Diskussionsrunde angestrebt wird, die auch keine Entscheidungen bzw. Änderungen erreichen kann, da die kommunale Ebene für die angesprochenen Themen keine bzw. nur sehr bedingte Zuständigkeit besitzt.

An der Wichtigkeit wird auch deshalb gezweifelt, da bereits andere gesetzliche verankerte Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger, Einwohnerinnen und Einwohner als auch Personen die nicht in der Hanse- und Universitätsstadt Rostock leben, bestehen um Meinungen, Beschwerden oder Wünsche an die (kommunalen) politischen Entscheidungsträger als auch die Verwaltung heranzutragen.

Ein (kritischer) Austausch mit dem politischen Raum, der Behörde als auch untereinander ist möglich und wird genutzt. Für den Austausch mit der Verwaltung gibt es neben (formlosen) Anfragen und persönlichen Terminen unterschiedliche Formen der Bürgerbeteiligung (formell/informell), so auch die Möglichkeit von Beschwerden und Petitionen.

Auf die Gemeindevertretung kann über die dafür vorgesehenen Elemente in der Kommunalverfassung:

- Eingabe von Anregungen und Beschwerden (§ 14 Abs. 1),

- Einwohnerfragestunde (§ 17),

- Einwohnerantrag (§ 18),

- Bürgerbegehren (§ 20)

Einfluss genommen werden. Selbstverständlich besteht auch immer die Möglichkeit, einzelne Akteure (Präsidium der Bürgerschaft, Fraktionen, Mitglieder der Bürgerschaft, Ortsbeiräte) direkt zu kontaktieren, um sich über Themen auszutauschen bzw. seine Meinung mitzuteilen. Im Ergebnis gibt es also bereits jetzt zahlreiche Möglichkeiten des Austausches, insbesondere zu Sachfragen mit den politisch und behördlich Verantwortlichen.

Es handelt sich vorliegend um ein (kommunales) Instrument, bei dem in einem verpflichtenden Forum ausschließlich „Fragen zur aktuellen Kommunalpolitik“ im Rahmen des eigenen Wirkungskreises behandelt werden sollen. Vor diesem Hintergrund ist zu hinterfragen, inwieweit es tatsächlich rechtskonform ist, dass dort „alle Menschen“ Fragen stellen dürfen. Der Adressatenkreis ist damit weit gefasst und nicht bestimmbar oder eingrenzbar.

Ausgehend von der Benennung des Bürgerbegehrens als „Bürger-Frage-Runde“ steht zu vermuten, dass faktisch die Einwohnerinnen und Einwohner der Hanse-und Universitätsstadt Rostock gemeint sind. Abschließend zu klären ist dieser Punkt ausgehend von der Begründung und Formulierung an dieser Stelle nicht. Bei wörtlicher Auslegung des gewählten Oberbegriffes „Bürger-Frage-Runde“ bestünde der Teilnehmerkreis tatsächlich jedoch nur aus Bürgerinnen und Bürgern, d.h. wahlberechtigten Einwohnerinnen und Einwohnern (§ 13 Abs. 2 KV M-V). Da es sich vorliegend wohl um einen Austausch über aktuelle kommunalpolitische Themen handeln soll, wäre ein Austausch mit Einwohnerinnen und Einwohnern angezeigt.

Die am Ende der Fragestellung in Klammern stehenden Ausführungen sind ganz überwiegend mit dem kommunalpolitischen Bezug nicht in Übereinstimmung zu bringen. Die Diskussionen über die Auswirkungen der Um-/Durchsetzung von bundes- bzw. landesrechtlichen Regelungen sind wie bereits beschrieben nicht zielführend, da dies im übertragenen Wirkungskreis geschieht und dem Einfluss der kommunalen Ebene somit entzogen ist.

Die dort getätigte Formulierung „sowie alle politischen Themen die uns Menschen in Rostock bewegen und deren Folgen für Menschen und Wirtschaft“ eröffnet zudem weitergehend die Möglichkeit, tatsächlich alle Themen in diesem Format einzubringen. Dies steht im direkten Widerspruch zur Fragestellung, in der die Einrichtung einer
Bürger-Frage-Runde mit politisch/behördlichen Verantwortlichen zu aktuellen Fragen der Kommunalpolitik formuliert ist.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, welches Ziel mit der Einrichtung einer solchen
Bürger-Frage-Runde verbunden sein soll. In der Begründung heißt es, dass die Krisenjahre negative Auswirkungen auf das menschliche Für- und Miteinander hatten. Durch die Schaffung eines offenen Debattenraumes soll wieder ein respektvolles miteinander Reden sowie die Möglichkeit des Stellens von Fragen an Politik, Verwaltung und Behörden ermöglicht werden. Dies wird als einzige Chance gesehen „Hass, Hetze und Spaltung, aber auch Ignoranz, Diffamierung und Ausgrenzung zu beenden.“ „Politik, Verwaltung und Behörden“ sollen zuhören und ihre Politik für die Stadt begründen. So soll auf allen Seiten neues „Verständnis, Unterstützung und Vertrauen“ entstehen.

Selbst wenn man die dargestellte Analyse der vergangenen Jahre teilt, ist anzuzweifeln, ob es der geforderten Maßnahme tatsächlich bedarf bzw. ob diese geeignet ist, um das Ziel zu erreichen. Wie bereits ausgeführt, stehen diverse Formen für den Austausch der Menschen mit der Politik bzw. der Verwaltung bereit und werden auch genutzt.

Dem Anschein nach, soll es sich um ein tagespolitisches Forum handeln, in dem nicht nur kommunale Themen besprochen werden sollen. Es stellt eine Diskussionsrunde dar, in der auch von zum Teil nicht in der Kommune lebenden Menschen, Fragen gestellt werden können. Offen bleibt zudem, wer die ggf. vielschichtigen Fragen außerhalb kommunaler Sachthemen beantworten bzw. Entscheidungen begründen soll. Eine Begründung von politischen Entscheidungen oder durchgeführter Maßnahmen erfolgt grundsätzlich mit dem dazugehörigen Beschluss durch die zuständigen Gremien und Behörden. Eine spezielle weitergehende Rechtfertigung bzw. Aufarbeitung von Themen erfolgt im Rahmen der politischen Willensbildung, welche in einer repräsentativen Demokratie grundsätzlich durch Wahlen erfolgt.

Zusammenfassend stellt daher die Einrichtung der hier vorgeschlagenen Bürger-Frage-Runde keine wichtige Entscheidung in einer Angelegenheit im Sinne des § 20 Abs. 1 KV M-V dar.

Es handelt sich auch insoweit nicht um eine "wichtige Entscheidung", dass hierfür eine "öffentliche Aufgabe" gefordert ist (siehe unter Punkt eigener Wirkungskreis) – in der Bürger-Frage-Runde jedoch keine Einzelfallentscheidungen getroffen werden sollen. Hier wird nur diskutiert.

Selbst wenn das ein (organisatorischer) Teil von "wichtigen Entscheidungen" sein oder werden könnte, reichte das nicht aus. Denn - so die Gesetzesbegründung (LT-Drs. 2/2358, S. 63): "Die Umstellung von § 20 Abs. 1 Satz 1 betont, daß der beträchtliche Aufwand eines Bürgerentscheides nicht für jede Entscheidung in einer wichtigen Gemeindeangelegenheit gerechtfertigt ist, sondern nur für wichtige Entscheidungen. Soweit daher die gemeindliche Entscheidung nur unbedeutenden Einfluß auf eine an sich wichtige Angelegenheit nimmt, scheidet ein Bürgerentscheid demzufolge aus." Allenfalls wäre das Einrichten einer solchen dauerhaften "Diskussionsplattform" zu prüfen. Hier handelt es sich jedoch aufgrund der fehlenden finanziellen und politischen Bedeutung nicht um eine “wichtige Entscheidung“. Bürgerbeteiligungen am politischen Prozess regelt bereits das Gesetz hinreichend (Ortsbeiräte, Einwohnerfragestunde usw.). Alles darüber hinaus ist obligatorisch und rechtlich nicht geboten.

 

Fragestellung (§ 20 Abs. 5 KV M-V, § 14 Abs. 1 KV-DVO)

Die Fragestellung ist so zu formulieren, dass sie mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. Sie muss das Ziel des Bürgerbegehrens eindeutig zum Ausdruck bringen und darf die freie und sachliche Willensbildung (insbesondere durch beleidigende, polemische oder suggestive Formulierungen) nicht gefährden (§ 14 Abs. 1 KV-DVO).

Die Fragestellung ist mit Ja oder Nein zu beantworten, erscheint aber bei genauerer Betrachtung, insbesondere aufgrund ihrer Länge, den Einschüben sowie den beiden Fußnoten, unübersichtlich.

Die Fragestellung ist losgelöst von der Begründung nicht polemisch oder suggestiv. Jedoch stellt sich dies in Zusammenschau mit der Begründung so dar, dass eine freie, sachliche Willensbildung aufgrund der impliziten, zum Teil polemischen Darstellung der politischen Ereignisse sowie der angeführten gesellschaftlichen Defizite und Probleme ausschließlich in der Bürger-Frage-Runde stattfinden könne.

Die Fragestellung muss zudem hinreichend bestimmt sein. Die Bürgerinnen bzw. der Bürger müssen erkennen, wofür oder wogegen sie ihre Stimme abgeben. Aber auch die Gemeindevertretung, welche über die Zulässigkeit entscheidet, muss aus dem Antrag einschließlich seiner Begründung den konkreten Inhalt erkennen können, da sie die Möglichkeit hat die beantragte Maßnahme selbst zu beschließen (§ 20 Abs. 5 Satz 5 KV M-V) und den Bürgerentscheid so abzuwenden. Da der Bürgerentscheid die Entscheidung der Gemeindevertretung ersetzt, welche dann durch die Verwaltung umgesetzt werden muss, ist auch hier immanent, dass es eine klare und eindeutige Fragestellung gibt. (VG Schwerin, Urteil vom 27.08.2020 - 1 A 721/19 SN, Rdnr. 17)

Das Ziel der Einrichtung einer Bürger-Frage-Runde als Forum, an dem alle Menschen teilnehmen und Fragen u.a. zur aktuellen Kommunalpolitik stellen sowie sich äußern dürfen, ist zwar eindeutig formuliert, jedoch bleibt außer dem Startzeitpunkt unklar, wann bzw. wie oft diese Fragerunde letztlich stattfinden soll. Die Formulierung „dauerhaft […] wöchentlich“ wird insoweit eingeschränkt, dass durch eine Ergänzung mittels Fußnote (2) erklärt wird: „die ersten 3 Monate wöchentlich, danach 14-tägig, später gegebenenfalls monatlich“. Insbesondere „gegebenenfalls monatlich“ ist nicht eindeutig zumal unklar bleibt, wer diese Entscheidung trifft.

In diesem Zusammenhang bleibt ebenso unklar, wie eine in der Fußnote (1) artikulierte „gleichberechtigte Zusammenarbeit“ bei der Einrichtung bzw. Durchführung der Bürger-Frage-Runde aussehen soll. Es ist weiterhin aus den Antragslisten nicht eindeutig, wer genau die dort aufgeführte „Initiative“ ist und – sollte es sich nicht um die Vertreterin bzw. die Vertreter des Bürgerbegehrens handeln – diese vertritt und legitimiert.

Offen ist auch, wer mit „den politisch/behördlich Verantwortlichen“ gemeint ist.


Denkbar wäre hier für die Behörde die Oberbürgermeisterin/ der Oberbürgermeister sowie von ihr/ihm delegierte Personen. Grundsätzlich lassen die Ausführungen, gerade vor dem Hintergrund der zum Teil sehr weit gefassten Themenbereiche offen, ob gegebenenfalls auch Akteure aus anderen Behörden, Institutionen oder der Politik außerhalb der Kommune involviert werden sollen. Zudem erschließt sich auch in diesem Kontext der Teilnehmerkreis „Menschen“ nicht.

Ausgehend von der Fragestellung bleiben ferner sämtliche Rahmenbedingungen der entsprechenden Veranstaltungen, „Bürger-Frage-Runde“, unklar.

Die Organisation einer Vertretung seitens der politisch Verantwortlichen (Bürgerschaft, Parteien) kann wie bereits ausgeführt nach hiesiger Auffassung nicht geregelt bzw. beschlossen werden.

Zusammenfassend ist die Fragestellung im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 KV-DVO nicht eindeutig formuliert. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der für die Umsetzung notwendigen hinreichenden Bestimmtheit. Eine direkte, praktische Umsetzung des Beschlusses auf Grundlage des vorliegenden Bürgerbegehrens wäre durch die Oberbürgermeisterin nicht möglich. Dabei ist es egal, ob die Bürgerschaft den Beschluss fasst oder ein Bürgerentscheid stattfindet. Es bleibt unklar wann, wo, in welchen Abständen oder wie lange eine solche Frage-Runde tatsächlich durchgeführt werden soll. Auch wer in welchem Umfang daran teilnimmt bzw. teilnehmen soll, ist unbestimmt.

Unabhängig der vorgenannten Ausführungen impliziert die Formulierung „SIND SIE FÜR DEN BESCHLUSS…“, dass über die Fragestellung beschlossen werden muss bzw. beschlossen wird. Dies ist nicht der Fall, da nur eine Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens erfolgt. Die Gemeindevertretung kann die beantragte Maßnahme beschließen, muss aber nicht. (§ 20 Abs. 5 Satz 5 KV M-V) Im Bürgerentscheid wird ebenso über die konkrete Maßnahme abgestimmt, eines anschließenden Beschlusses bedarf es nicht. Insoweit ist diese Formulierung irreführend und die Fragestellung so nicht zulässig.

 

Begründung (§ 20 Abs. 5 KV M-V, § 14 Abs. 1 KV-DVO)

Eine weitere Voraussetzung des Bürgerbegehrens ist eine Begründung, die den Antragstellenden vor Unterzeichnung in geeigneter Form zur Kenntnis zugeben sind (§ 20 Abs. 5 KV M-V iVm § 14 Abs. 5 Satz 3 KV-DVO). Diese soll den Sinn und Zweck des Bürgerbegehrens darstellen sowie über den Sachverhalt und die Argumente der Initiatoren aufklären. Es liegt eine Begründung vor.

„Da die Begründung regelmäßig auch dazu dient, für das Bürgerbegehren zu werben, kann es in gewissem Umfang hinzunehmen sein, dass Tatsachenmitteilungen und Erläuterungen im Sinne des politischen Anliegens des Bürgerbegehrens ‚gefärbt‘ sind. Es ist vorrangig Sache der abstimmungsberechtigten Bürgerinnen und Bürger, sich selbst ein eigenes Urteil darüber zu bilden, ob sie den mit dem vorgelegten Bürgerbegehren vorgetragenen Argumenten folgen wollen oder nicht. Darüber hinaus lassen schon Raumgründe eine ausführliche Erörterung des Für und Wider regelmäßig nicht zu. Die Grenze einer sachlich noch vertretbaren, politisch unter Umständen tendenziösen Darstellung des Anliegens des Bürgerbegehrens ist jedoch dann überschritten, wenn die Begründung in wesentlichen Punkten falsch, unvollständig oder irreführend ist. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob dem eine Täuschungsabsicht der Initiatoren des Bürgerbegehrens zu Grunde liegt“ (OVG NRW, Urteil v. 23.04.2002 - 15 A 5594/00 -, juris, Rn. 34 ff.). Denn maßgebend für eine inhaltliche Kontrolle der Begründung ist allein das Ziel, Verfälschungen des Bürgerwillens vorzubeugen (so VG Stuttgart, Urteil v. 17.07.2009 - 7 K 3229/08 -, juris, Rn. 121 m.w.N.). Vorstehendes gilt auch, wenn die Begründung - bzw. bereits die Fragestellung oder beides zusammen - dem Bürger ein unzutreffendes oder unvollständiges Bild vom maßgeblichen Sachverhalt vermittelt.“ (VG Darmstadt, Beschluss vom 24.01.2018, 3 L 5117/17.DA, Rdnr. 7)

Vorliegend wird in der Begründung darauf abgestellt, dass durch die „Corona-Krise“ das Leben in Rostock, das menschliche Für- und Miteinander so schnell nachhaltig negativ verändert und Schaden genommen hat, wie nie zuvor. Dieser Trend werde durch den Krieg (in der Ukraine), das Klima und weitere neue Themen verschärft. Auch in Rostock gäbe es kein politisches Thema mehr, das die Menschen nicht spalte. Dazu wird fett gedruckt erklärt: „Zwei Jahre Angst und Panik in Politik und Medien haben einen entscheidenden Anteil daran.“

Selbst wenn man der Grundannahme folgt, handelt es sich bei der Folgerung lediglich um einen Eindruck, um eine Hypothese, die weder fundiert analysiert noch beurteilt werden kann. Es ist daher nicht auszuschließen, dass durch diese formulierten Annahmen Antragstellerinnen und Antragstellern irreführend beeinflusst worden sind. Weiterhin wird argumentiert, dass die Einrichtung eines solchen Debattenraumes „die einzige Chance [ist] Hass, Hetze und Spaltung aber auch Ignoranz, Diffamierung und Ausgrenzung zu beenden“. Nur so entstehe „auf allen Seiten Verständnis, Unterstützung und Vertrauen wieder neu.“ Dass die vorgeschlagene Einrichtung einer offenen (in der Ausgestaltung nicht definierten) Bürger-Frage-Runde, die „einzige Chance“ sei, eine seitens der Initiatoren vorgetragenen massiven Problemlage zu lösen, ist nicht verifizierbar. Unbestritten bleibt, dass ein (sachlicher) Austausch zwischen Akteuren grundsätzlich zur Lösung von Konflikten bzw. Problemen beitragen kann. Diese Möglichkeiten sind, wie bereits beschrieben, derzeit schon vorhanden.

Auch die Aussage: „Wir Menschen müssen wieder respektvoll miteinander reden und der Politik, den Behörden, der Verwaltung unsere Frage stellen können“ impliziert, dass dies momentan nicht möglich ist. Dies ist zumindest bezogen auf den letzten Teil des Satzes falsch.

Weiterhin sind thematische Widersprüche in Bezug auf die Fragestellung festzustellen. Neben des zum Teil nur indirekten (z.B. kommunales Schul-/Gesundheitswesen, zum Leid alter Menschen) oder nicht vorhandenen Bezuges (z.B. Einschränkungen grundgesetzlicher Rechte und Freiheiten, steigender Inflation und Versorgungsengpässen) zur Kommunalpolitik wird auch über die „Aufarbeitung möglicher Versagen“ der Institutionen und „für eine bessere Vorbereitung auf künftige Krisen“ gesprochen. Insbesondere Letzteres ist in dem gemeindlichen Gefüge nicht angelegt, insofern zeichnen sich andere Institutionen verantwortlich.

Die Aussage „JEDE FRAGE HAT DAS RECHT GESTELLT ZU WERDEN. JEDER MENSCH HAT DAS RECHT, SEINE FRAGEN ZU STELLEN.“ mutet insoweit polemisch an, da es keine inhaltliche Begründung darstellt als auch keinen Bezug zur Fragestellung aufweist und es diverse (auch institutionelle) Möglichkeiten gibt, Fragen zu stellen.

Die Aussage, dass „von vielen besorgten Menschen“ bereits seit dem 11. Februar 2021 die Einrichtung einer Bürger-Frage-Runde gefordert wird, kann nur bedingt nachvollzogen werden. Es wird davon ausgegangen, dass hier die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der regelmäßig stattfindenden Demonstrationen gemeint sind.

Die Aussage, dass Bürgerschaft und Oberbürgermeister „bis heute kein einziges Mal“ reagiert haben, ist falsch. Am 18.05.2022 gab es auf Einladung der Präsidentin der Bürgerschaft der Hanse- und Universitätsstadt Rostock vom 12.05.2022 ein Treffen mit zwei Initiatoren des Bürgerbegehrens, bei dem es auch um die Einrichtung einer Bürger-Frage-Runde ging. Weiterhin nutzte eine Vertreterin des Bürgerbegehrens die Möglichkeit der Einwohnerfragestunde in der Sitzung der Bürgerschaft am 22.06.2022, sodass die Behauptung spätestens ab diesem Zeitpunkt unzutreffend ist.

 


Kostendeckungsvorschlag (§ 20 Abs. 5 KV M-V, § 14 Abs. 3, 5 KV-DVO)

Sofern Kosten durch den Beschluss entstehen, ist den Unterzeichnenden vor der Unterschriftsleistung ein Kostendeckungsvorschlag (Höhe der voraussichtlichen Kosten, Kostendeckung) in geeigneter Weise zur Kenntnis zu geben (§ 20 Abs. 5 KV M-V, § 14 Abs. 3, 5 S. 4 KV-DVO)

Die eingereichten Antrags-/Unterschriftslisten enthalten keinen Kostendeckungsvorschlag. Mit Einreichung des Bürgerbegehrens wurde ein Vorschlag zur Deckung der Kosten mitgeteilt. Dort wird die Auffassung vertreten, dass für die Realisierung der Bürger-Frage-Runde keine Kosten entstehen, die von der Stadt zusätzlich gedeckt werden müssen. Die Durchführung soll in geeigneten Räumen (stadteigen, z.B. Bürgerschaftssaal, Rathausfoyer) oder im Freien durchgeführt werden. Sofern Technik (Mikrofon, Lautsprecher) benötigt würden, könnte dies durch die Initiatoren des Bürgerbegehrens gestellt werden. Es gäbe keine Anschaffungs-, Herstellungs-, Betriebs- oder Folgekosten.

Diese Auffassung wird seitens der Stadtverwaltung nicht geteilt. Die (wöchentliche, dauerhafte) Organisation einer Veranstaltung mit nicht definiertem Teilnehmerkreis bedeutet für die Verwaltung einen nicht unerheblichen Aufwand. Solche Termine sind logistisch vorzubereiten (Veranstaltungsort, ggf. Technik, Absicherung bei Großveranstaltungen, etc.) als auch personell (z.B. Moderation, Sicherheit, Reinigung) abzusichern.

Entgegen der Auffassung der Initiatoren entstehen auch bei der Nutzung städtischer Räumlichkeiten Kosten (Betriebskosten, Reinigungskosten, etc.), insbesondere wenn eine Anzahl zuvor nicht bekannter Personen an dieser Veranstaltung teilnimmt. Hier müsste ggf. auf große Räumlichkeiten wie z.B. die Stadthalle zurückgegriffen werden. Um einen zweckdienlichen und geordneten Austausch zwischen den Beteiligten zu ermöglichen, wäre insbesondere bei größeren Veranstaltungen eine professionelle Moderation vonnöten, die Einbindung eines Sicherheitsservice sowie bei Veranstaltungen unter freiem Himmel wäre der Einsatz von Bühnentechnik angezeigt.

Die Antragstellenden wurden somit nicht darüber informiert, dass Kosten entstehen. Eine Einschätzung, dass aus Sicht der Verwaltung Kosten entstehen, wurde den Initiatoren im Vorfeld mitgeteilt. Da Informationen zu Kostenhöhe und Kostendeckung den Antragstellerinnen und Antragsteller zum Bürgerentscheid nicht zur Kenntnis gegeben wurden, ist das Bürgerbegehren auch aus diesem Grunde als unzulässig abzulehnen.

Gemäß § 20 Absatz 5 Satz 4 KV M-V in Verbindung mit § 15 Absatz 1 Satz 3, 4 KV-DVO ist der Beschlussvorlage die Stellungnahme der Rechtsaufsichtsbehörde beizufügen. Sobald diese vorliegt, wird die Beschlussvorlage entsprechend ergänzt.
(redaktioneller Hinweis: Stellungnahme der Rechtsaufsichtsbehörde redaktionell als Anlage 2 ergänzt am 02.06.2023 / 03.1 Ke)

 

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Finanzielle Auswirkungen:  keine

 

  

 

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Eva-Maria Kröger

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Anlagen

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Beschlüsse

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07.06.2023 - Bürgerschaft - ungeändert beschlossen