Stellungnahme - 2010/AN/1696-01 (SN)

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Beratungsfolge

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Sachverhalt:

 

Der Oberbürgermeister soll mit vorliegendem Antrag beauftragt werden, bis zur Bürgerschaftssitzung im Juli 2011 ein Vergnügungsstättenkonzept als städtebauliches Entwicklungskonzept gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB zu erarbeiten.

 

 

 

Auch Rostock sieht sich einer wachsenden Nachfrage nach Standorten für Spielhallen die Errichtung von Vergnügungsstätten gegenüber. Allein die Anzahl der Spielhallen erhöhte sich von 38 in 2007 auf 46 in 2009. Unter dem Begriff der Vergnügungsstätten werden Spiel- und Automatenhallen, Wettbüros, Nachtlokale jeglicher Art, Swinger-Clubs, Diskotheken und Tanzlokale zusammengefasst. Insbesondere die Novellierung der Spielverordnung im Jahr 2006 hat zu einer Belebung des Automatengeschäfts geführt, indem den Betreibern neue Möglichkeiten zur Spielgestaltung eröffnet wurden.

Unter städtebaulichen Gesichtspunkten ist dieser Trend insofern von Bedeutung, als dass mit dem vermehrten Auftreten von Vergnügungsstätten oftmals ein schleichender Abwärtstrend von Quartieren und Straßenzügen verbunden ist (sog. Trading-down-Effekt).

Zu einer derartigen Entwertung von Gebietsstrukturen kommt es, wenn weniger zahlungskräftige (Einzelhandels-) Nutzungen als z. B. Spielhallen verdrängt werden. Zudem entsteht Lärm durch den Betrieb von Vergnügungsstätten. Die zumeist verklebten Schaufensterscheiben derartiger Einrichtungen schädigen das Stadtbild.

Die Verhinderung eines Trading-down-Effektes ist ein durch die Rechtsprechung anerkannter Grund für den Ausschluss von Vergnügungsstätten in bestimmten Gebieten.

 

 

 

 

 

 

Dafür ist eine flächendeckende planerische Steuerung der Ansiedlung von Mittel. Versuche, im Einzelfall die Ansiedlung zu verhindern oder umzulenken, werden den aktuellen Entwicklungen nicht mehr gerecht.

 

 

Rechtliche Einordnung eines Vergnügungsstättenkonzeptes

Für die Erarbeitung eines Vergnügungsstättenkonzepts gibt es keine formal-rechtliche Vorgabe.

Das Konzept würde im Verhältnis zur verbindlichen Bauleitplanung, die Rechtsnormcharakter hat, eine „sonstige städtebauliche Planung“ darstellen. Sonstige städtebauliche Planungen entfalten, auch wenn sie von der Bürgerschaft beschlossen werden, keine Rechtsverbindlichkeit nach außen. Sie sind aber bei der Aufstellung von Bebauungsplänen zu berücksichtigen gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB.

 

Problemlage allgemein

Das Problem der Vergnügungsstätten besteht in der Verdrängung anderer Nutzungen, insbesondere Einzelhandel, in der möglichen Auslösung eines „Trading-down-Effektes“ (Qualitätsverlust im Sinne von Nutzung, Gestaltung und sozialem Umfeld), unverhältnismäßige Störungen für das Umfeld (insbesondere Lärmbelastungen).

 

Begriffsbestimmung

Der Begriff „Vergnügungsstätte“ ist baurechtlich nicht näher definiert. Nach einer Kommentierung des Baugesetzbuches (BauGB) sind:

"Vergnügungsstätten wirtschafts- und gewerberechtlich eine besondere Art von Gewerbebetrieben, bei denen - in unterschiedlicher Weise - die kommerzielle Unterhaltung der Besucher bzw. Kunden im Vordergrund steht. Sie sind durch kommerzielle Freizeitgestaltung und

Amüsierbetrieb gekennzeichnet"

(Definition nach Bielenberg in Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BauGB, Stand: Februar 2000, § 4 a

BauNVO, RdNr. 58).

 

Zu den Vergnügungsstätten zählen: Spielhallen, Spielkasinos, Spielbanken, Diskotheken, Nachtlokale, Varietés, Nacht- und Tanzbars, Striptease-Lokale, Peepshows, Kinos. Dadurch, dass Vergnügungsstätten eine eigene planungsrechtliche Nutzungsart bilden, sollen Gebiete, die überwiegend oder zumindest auch dem Wohnen dienen, vor den mit dem Betrieb von Vergnügungsstätten häufig gerade abends und nachts verbundenen Lärmbelästigungen geschützt werden. Die Baunutzungsverordnung (BauNVO) unterscheidet 2 Arten von Vergnügungsstätten:

 

1.      Kerngebietstypische Vergnügungsstätten

(nach der Rechtsprechung gelten Spielhallen mit einer Nutzfläche von mehr als 100 qm als kerngebietstypisch)

Kerngebietstypische Vergnügungsstätten sind nach einer Rechtsprechung des BVerwG diejenigen Vergnügungsstätten, die "als zentrale Dienstleistungsbetriebe auf dem Unterhaltungssektor einen größeren Einzugsbereich haben und für ein größeres und allgemeines Publikum erreichbar sein sollen“. Bei diesen Vergnügungsstätten ist aufgrund der Öffnungszeiten und des Publikumsverkehrs von erheblichen Störungen auf das Wohnen auszugehen.

 

2.      Nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätten

(als nicht kerngebietstypisch sind Vergnügungsstätten einzustufen, die der "Versorgung" eines begrenzten Einzugsbereiches dienen)

 

Planungsrechtliche Regelungen

Die planungsrechtliche Zulässigkeit von Vergnügungsstätten regelt die Baunutzungsverordnung (BauNVO).

Nach der BauNVO sind Vergnügungsstätten in den Baugebieten wie folgt zulässig:

-        allgemeine Zulässigkeit von Vergnügungsstätten ohne Größenbegrenzung in Kerngebieten,

-        allgemeine Zulässigkeit von nicht kerngebietstypischen Vergnügungsstätten in gewerblich geprägten Bereichen von Mischgebieten,

-        ausnahmsweise Zulässigkeit von nicht kerngebietstypischen Vergnügungsstätten in nicht gewerblich geprägten Bereichen von Mischgebieten, sowie in Dorfgebieten und in Gewerbegebieten.

 

Vergnügungsstätten sind in Allgemeinen Wohngebieten (WA), Reinen Wohngebieten (WR), Besonderen Wohngebieten (WS) sowie in Industriegebieten (GI) grundsätzlich unzulässig, sodass sich für Bereiche, die diesen Gebietstypen entsprechen, grundsätzlich keine gesonderten Regelungen notwendig sind.

 

Möglichkeiten der planungsrechtlichen Steuerung

Der konkrete Ausschluss von Vergnügungsstätten im Sinne der BauNVO ist nur über Festsetzungen in Bebauungsplänen möglich.

 

Die Bauleitplanung hat nach § 1 BauGB die Aufgabe, die bauliche und sonstige Nutzung in der Gemeinde vorzubereiten und zu leiten. Sie soll weiterhin eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung und eine dem Wohl der Allgemeinheit entsprechende sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten und dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern. Damit dient die Bauleitplanung im umfassenden Sinne städtebaulichen Zielen.

 

Bauleitplanung beschränkt sich damit alleine auf städtebauliche Belange. Mit ihrer Hilfe können deshalb z. B. keine Jugend gefährdenden oder die Spielsucht fördernde Nutzungen ausgeschlossen werden. Weiterhin ist es auch unzulässig, durch die Bauleitplanung wettbewerbliche Zwecke zu verfolgen. Dies bestätigt die höchstrichterliche Rechtsprechung, die in diversen Entscheidungen ausführt, dass die Gemeinde nicht mit den Mitteln der Bauleitplanung ihre eigene, von der Wertung des Bundesgesetzgebers abweichende Vergnügungsstättenpolitik betreiben darf, indem sie diese Einrichtungen unabhängig von der Ordnung der Bodennutzung allgemein für ihr Gemeindegebiet ausschließt. Es ist rechtlich jedoch unbedenklich, wenn die Verwirklichung städtebaulicher Zielsetzungen als Nebenfolge auch wettbewerbliche Auswirkungen zeigt.

 

Es kann demnach ein städtebaulich relevanter Bezug zur Ordnung der Bodennutzung bei einem Ausschluss von Vergnügungsstätten für bestimmte abgrenzbare Bereiche vorliegen. Dies ist nach einem Beschluss des BVerwG vom 21.12.1992 allerdings nur möglich, wenn der Ausschluss für Teilbereiche konkret mit dem von insbesondere durch Spielhallen ausgehende "Trading–down–Effekt" für bestimmte Geschäftsbereiche im Gemeindegebiet begründet und belegt wird.

 

In § 9 BauGB sind abschließend alle die Festsetzungen genannt, die in einem Bebauungsplan aufgenommen werden können. Hierzu gehören auch Regelungen über Art und Maß der baulichen Nutzung, die durch die BauNVO ergänzt und konkretisiert werden.

 

Soweit nach den Bestimmungen der BauNVO eine Einschränkung bzw. Gliederung der Baugebiete bezüglich der Nutzungen möglich ist, unterliegen diese Festsetzungen hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit den allgemeinen Anforderungen an das Abwägungsgebot.

Nach § 1 (4) BauGB können verschiedene Nutzungen innerhalb eines Baugebietes räumlich verteilt werden. Es ist planungsrechtlich jedoch nicht möglich, aufgrund dieser Vorschrift Vergnügungsstätten oder speziell Spielhallen in dem gesamten Stadtgebiet auszuschließen.

Nach § 1 (5) BauNVO können bestimmte Arten von Nutzungen, die in den Baugebieten allgemein oder ausnahmsweise zulässig sind, ausgeschlossen werden oder für nur ausnahmsweise zulässig erklärt werden, wenn die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebietes gewahrt bleibt.

Wenn besondere städtebauliche Gründe es rechtfertigen, kann der Bebauungsplan nach § 1 (9) BauNVO einzelne konkrete Nutzungen ausschließen. Da dieser Ausschluss jedoch nur aus besonderen städtebaulichen Gründen erfolgen kann, wird hier der Abwägung nach § 1 (6) BauGB besondere Bedeutung beigemessen. Dem städtebaulichen Verbot steht hier insbesondere die freie Ausübung gewerblicher Tätigkeit gegenüber.

 

 

 

Konkrete Situation in der Hansestadt Rostock / Arbeitsschritte

Ein genereller Ausschluss von Vergnügungsstätten im gesamten Stadtgebiet ist rechtlich nicht möglich.

 

Beim Vorliegen eines begründeten Nachweises negativer städtebaulicher Auswirkungen besteht die Möglichkeit, einzelne Arten von Vergnügungsstätten für besonders gefährdete Teilbereiche im Stadtgebiet auszuschließen.

Hierzu sind für Problemzonen in unbeplanten Innenbereichen vorzugsweise einfache Bebauungspläne nach § 30 Abs. 3 BauGB aufzustellen, die lediglich Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung (Baugebiet) und Festsetzungen zur Gliederung (Ausschluss von Nutzungen) des Baugebietes enthalten.

 

Ein Vergnügungsstättenkonzept wird als geeignetes Planungsinstrument angesehen, um die Bestandssituation zu analysieren und die Planungsziele zu definieren und zu begründen.

Das Vergnügungsstättenkonzept wäre bei der Aufstellung bzw. bei der Änderung bestehender Bebauungspläne zu berücksichtigen.

 

Aus stadtplanerischer Sicht wurde bislang in keinem Stadtgebiet eine städtebaulich relevante Problemlage gesehen, die ein planerisches Eingreifen notwendig erscheinen ließ.

 

Allerdings wird eine Analyse der Bestandssituation für sinnvoll erachtet.

Das Amt für Stadtplanung, Stadtentwicklung und Wirtschaft wird auf der Grundlage von Daten des Stadtamtes (Abt. Gewerbeangelegenheiten und -überwachung) bis Juli 2011 eine räumliche Bestandssituation erstellen.

 

Im Ergebnis dieser Analyse wird zu entscheiden sein, ob und in welchen Bereichen mit Hilfe eines Vergnügungsstättenkonzepts die konkrete planungsrechtliche Steuerung vorbereitet werden soll, die anschließend im Rahmen der verbindlichen Bauleitplanung umgesetzt werden müsste.

 

 

 

 

Roland Mehtling

 

 

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Beschlüsse

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19.01.2011 - Ausschuss für Wirtschaft und Tourismus

Erweitern

02.02.2011 - Bürgerschaft - zur Kenntnis gegeben