Antrag - 2019/AN/4324

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Beratungsfolge

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Beschlussvorschlag:

  1. Der Oberbürgermeister wird beauftragt eine verwaltungsinterne Arbeitsgruppe Warnow Tunnel zu bilden.
  2. Ziel der Arbeitsgruppe soll die Prüfung von Möglichkeiten zur früheren Erreichbar­keit einer Mautfreiheit der Nutzung des Warnow-Tunnels sein.
  3. Das Prüfergebnis ist mit der Bürgerschaft zu beraten, um auf dieser Basis ggf. weitere Arbeitsschritte zu vereinbaren. *

 

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    *redaktionell geändert in der Sitzung des Hauptausschusses am
     22.01.2019

 

 

 

Sachverhalt:

Das F-Modell

Der Bau des Warnow-Tunnels erfolgte im Rahmen eines sog. Öffentlich-Privaten-Partner­schafts-Modells (Public Private Partnership - PPP). Die Idee des PPP kam in den 1990er Jahren aus Großbritannien, um die dortige öffentliche Infrastruktur für Privatkapital zu öffnen. Dieser Ansatz wurde in Deutschland übernommen.

 

Mit Verabschiedung der Gesetzesnovelle von 1994 zum Fernstraßenbauprivatfinanzie-rungsgesetz (FStrPrivFinG) wurden entsprechende Rechtsgrundlagen geschaffen. Der Bund hoffte mit dem Gesetz Infrastrukturprobleme zu lösen. Private Unternehmen sollten das machen, was der Staat nicht zahlen konnte oder wollte.

Kern des Modells: Private Investoren übernehmen Planung, Finanzierung, Bau und Betrieb von Straßen, Brücken, Tunneln, Flughäfen, Krankenhäusern oder Kläranlagen. Dafür dür­fen sie für eine begrenzte Zeit die Nutzergebühren kassieren.

 

Mit dem als F-Modell bezeichneten Konstrukt findet eine Beleihung des Privaten statt, die ihm das Recht zur Mauterhebung einräumt (§ 2 Mauterhebung durch Private/ FStrPrivFinG). Diese Art der Privatisierung kann als Dienstleistungskonzession bewertet werden.

Für ein mautfinanziertes Straßenprojekt in Deutschland lagen damals keine Erfahrungen vor. Die besondere Schwierigkeit bestand in der Prognose der zukünftigen Verkehrsbele­gung in Abhängigkeit von der Mauthöhe.

Der Bund hat sich inzwischen von dem F-Modell weitgehend verabschiedet. Erfolgverspre­chender scheint im Verkehrswegebau das A-Modell, bei dem der Investor für einen be­stimmten Zeitraum die ohnehin erhobene Lkw-Maut erhält.

 

 

Das F-Modell-Vorzeigeprojekt Warnow-Tunnel

Zum bundesweiten Vorzeigemodell der neuen Straßenfinanzierungspolitik sollte der Rostocker Warnow-Tunnel werden. Er wurde zum ersten privat finanzierten Fernstraßen­bauprojekt Deutschlands auf Basis des F-Modells und somit zur ersten mautpflichtigen privatwirtschaftlich betriebenen Fahrstrecke in Deutschland im Durchgangsverkehr.

 

Der französische Privatinvestor Bouygus Traveaux Publics S.A. übernahm nach einer Aus­schreibung Planung, Bau und Finanzierung des Tunnels. Der Konzern und sein Gesell­schafter Macquarie Infrastructure (Australien) investierten gemeinsam mit einem interna­tionalen Bankenkonsortium unter Führung der Deutschen Bank, Nord LB, KfW und EIB rd. 220 Mio. Euro in den Tunnel. Die Europäische Union stellte Fördermittel zur Verfügung.

Die öffentlichen Zuschüsse betrugen ca. 12 Prozent.

 

Der erste Spatenstich erfolgte am 01.12.1999, der Tunnel wurde am 12.09.2003 eröffnet.

 

Entsprechend Konzessionsvertrag von 1999 (Zustimmung SPD/Linke, Ablehnung CDU/ Grüne) betrug der Zeitraum der Mauterhebung 30 Jahre (bis 2033). Danach sollte der Tun­nel an den Bund (Bundesverkehrswegeplan) und/oder die Stadt Rostock (Bestelle-rin/Auftraggeberin) fallen und die Durchfahrt kostenfrei sein. 

 

Das wirtschaftliche Risiko lag vertraglich ausschließlich beim Investor (Bouygues), der eigens hierfür eine rechtlich selbständige Betreibergesellschaft gründete, die Warnowquerungsgesellschaft (WQG) GmbH. Seit August 2018 ist Bouygues nicht mehr Mit­gesellschafter, sondern nur noch die European Transport Investments (ETI) mit Sitz in London, hinter der das australische Finanzunternehmen Macquarie steht.

 

Von Beginn an (09/2003) blieb die Nutzung des Tunnels weit hinter den Erwartungen zu­rück. Bereits in 2004 konnte die Betreibergesellschaft WQG zwei lt. Vertrag erforderliche Bürgschaften nicht erbringen. Ende 2005 drohte die Insolvenz der WQG.

 

Banken und private Betreibergesellschaft WQG verständigten sich im Frühjahr 2006 unter­einander auf ein Paket zur Verhinderung der Insolvenz. Neben anderen Punkten war Kern der Verständigung eine Verlängerung des Konzessionsvertrages mit der Hansestadt Rostock um 20 auf insgesamt 50 Jahre. Das Risiko von Banken und Privatinvestor sollte auf die Nutzer des Tunnels übertragen werden.

Alle Bürgerschaftsausschüsse lehnten das Ansinnen ab. Mittels Kampagne seitens der WQG kippte die Bürgerschaft binnen weniger Tage um und stimmte Mitte Juni 2006 der Verlängerung um 20 Jahre zu. Der Rostocker Bund lehnte als einzige Fraktion geschlossen ab, da bei Nichtverlängerung der Konzession zwar die Betreibergesellschaft in Insolvenz gehen könnte, ein Großteil der Bankkredite zu jenem Zeitpunkt aber bereits abgeschrie­ben war und niemand den Tunnel geschlossen hätte.

 

Bestätigt wurde diese Auffassung öffentlich ein paar Jahre später mit einer Aussage des Geschäftsführers der WQG zum zehnjährigen Tunnel-Jubiläum im September 2013. Dort wurde der Tunnel als Erfolg für Rostock dargestellt, mit einem Verlierer:

„Nur die beiden Privatinvestoren, der französische Baukonzern Bouygues und die australi­sche Bank Macquarie Infrastructure, mussten auf die erhoffte Rendite ihrer 42-Millionen-Euro-Einlage verzichten. >Sie haben das Projekt auf null abgewertet<, umschreibt Herrmann die Lage im Finanzjargon.

(In: Zehn Jahre Warnowtunnel: Zufriedenheit nach langer Durststrecke. In: Magazin mo­mentum 09.09.2013)

 

Mauterhebung

Bereits das Ursprungsmodell sah eine regelmäßige Steigerung der Maut vor, denn zu­nächst sollten Kunden gelockt werden.

Das umgekehrte Modell, mit der Reduzierung der Zinsbelastung aufgrund von Kreditrück­zahlungen auch die Maut zu senken, wurde damals abgelehnt.

Das Preismodell war mit dem Bundesverkehrsministerium abgestimmt.

Inzwischen befindet sich der Tunnel in einem Teufelskreis: Durch steigende Maut wachsen die Durchfahrtszahlen nicht entsprechend den Möglichkeiten.

 

Es ist nur zweimalig in Deutschland, dass Bewohner einer Stadt für das Erreichen eines anderen Stadtteils eine Maut zahlen müssen, die zudem laufend steigt.

 

F-Modell Herrentunnel Lübeck

 

Beim zweite Bauwerk, dem Lübecker Herrentunnel, ging die Sache ebenso schief: Ge­schönte Prognosen, fehlende Durchfahrten, Beinahe-Insolvenz, Druck auf Stadtverwaltung und Verlängerung der Konzessionszeit.

Aber es gibt einen erheblichen Unterschied: Am Bau des Tunnels in Lübeck hat sich der Bund mit der Hälfte der Kosten beteiligt. Die Maut war dadurch von Beginn an nur halb so hoch wie in Rostock.

 

Antrag

Ziel des Antrages ist es, zunächst noch einmal die gesamte Rechts- und Sachlage zu klä­ren, auch unter Berücksichtigung von Anfrage 2017/AM/2909 (Abschlussrechnung Warnowquerung) und Antrag 2017/AN/2908 (Warnowquerung: Mautgebühren) der Unter­zeichnerin sowie des Briefes der Warnowquerung GmbH & Co. KG vom 09.08.2017.

 

Da der Bund erhebliches Interesse an der Umsetzung des Tunnel-Projektes hatte und dies auch stets bei erforderlichen Entscheidungen kommuniziert wurde, obwohl bereits zum Planungszeitpunkt ganz andere Benutzer-Prognosen existierten, sollten Möglichkeiten der Einbindung des Bundes in die Lösungsfindung geprüft werden.

 

Prüfungsgegenstände könnten u.a. sein: Eine nachträgliche Kostenbeteiligung des Bundes wie beim Herrentunnel Lübeck, eine Übernahme des Tunnels durch den Bund, eine Um­wandlung des F-Modells in ein A-Modell, eine volkswirtschaftliche Gesamtbetrachtung unter dem Aspekt der Hebung wirtschaftlicher Potentiale.

Autofahrer zahlen bereits zahlreiche verkehrsbezogene Steuern, wie Kfz-, Mineralöl-, Mehrwertsteuer (z. B. Autokauf) usw. Der Bau von Straßen ist eigentlich eine öffentliche Aufgabe.

 

Diese Prüfungen sollten zunächst intern erfolgen (öffentliche Seite Verwaltung, Bund, Bür­gerschaft, da sich zunächst ein Bild davon gemacht werden muss, ob es überhaupt Mög­lichkeiten einer Verkürzung oder Aufhebung der Mautpflicht gibt, und wenn ja welche. Bei Existenz von Möglichkeiten ist der private Beteiligte (WQG) einzubinden.

 

Am Ende des Prozesses sollte eine konstruktive Beteiligung aller Seiten an einer Lösung stehen.

 

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Literatur:

- Beckers, Thorsten: Die Realisierung von Projekten nach dem PPP-Ansatz bei Bundes-fernstraßen. Ökonomische Grundlagen und eine Analyse des F-Modells, des A-Modells sowie des Funktionsbauvertrages, Berlin 2005

- In der Praxis gescheitert. In: Unternehmerin Kommune. Fachzeitschrift für kommunal­wirtschaftliches Handeln , 22. Jahrgang, Dezember 2018

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gez. Dr. Sybille Bachmann

 

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Beschlüsse

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22.01.2019 - Hauptausschuss - ungeändert beschlossen

Erweitern

30.01.2019 - Bürgerschaft - ungeändert beschlossen